Bilder © Karl Riedling, 2001
An einem strahlend sommigen Samstagmorgen erwartet uns unser Sonderzug - drei Spantenwagen - am Wiener Südbahnhof. Am Nachbargleis steht ein "Kollege", ein Nostalgiezug nach Sopron, gezogen von der grünen 2045.20 und der braun lackierten 2045.01. Letztere schafft eine Qualmentwicklung, die jeder Dampflok Ehre gemacht hätte...
Mit an Bord sind etwa zwei Dutzend (zum Teil schon leicht geriatrische) amerikanische Eisenbahnfreunde, die eine Tour durch Good Olde Europe machen und ein wenig Probleme haben, sich den Spielregeln bei Fotohalten ("Wir machen alle eine Linie, eine Linie...") anzupassen. Was manche unfreiwillig dokumentierte Scharen von kamerabewaffneten "Fahrgästen" auf den Bahnhofsbildern erklärt.
(Fast) pünktlich um 8.30 geht es los, dank einer etwas zu fest eingestellten Kupplung mit über-klassischem Dampflok-Fahrgefühl. James Bond ("gerührt, nicht geschüttelt") hätte im Barwagen keine Freude gehabt.
Obwohl unsere wackere 91-er um ihr Leben läft (eine tolle Leistung für eine 93-jährige alte Dame), gibt es schon in Mödling den ersten Halt, um den nachdrängenden Verkehr vorzulassen. Das gibt dem Fahrpersonal Gelegenheit, irgendwas am linken Triebgestänge, das nicht ganz in Ordnung scheint, mit Bordmitteln (Hammer, Schraubenzieher und Blumendraht) provisorisch zu reparieren. (Immerhin erfolgreich; wir sind schließlich bis Türnitz gekommen!)
Nicht im offiziellen Fahrplan vorgesehen ist der Halt in Pfaffstätten; auch hier müssen wir einen Planzug vorlassen.
In Leobersdorf darf unsere 91-er zum ersten Mal ihren Durst löschen. Aus Gründen, die einem Aussenstehenden nie einleuchten werden, hat sich hier, weit draussen, im Vorbahnhof, ein Wasserkran aus den Dampflok-Zeiten gehalten - die erste und einzige Gelegenheit, unsere 91-er stilgerecht Wasser nehmen zu sehen.
In Hirtenberg, wo alles noch so aussieht wie zu der Zeit, als hier noch planmäßig Dampfzüge fuhren, ist unser nächster Fotohalt.
In der Haltestelle St. Veit an der Triesting posiert unsere 91-er (zur Freude der lokalen Autofahrer mitten auf einem Bahnübergang) für die Fotografen. Leider kommt der Wind aus der falschen Richtung, und die Bilder werden immer nebuloser.
In Pottenstein an der Triesting kreuzt nicht nur der Planzug; auch unsere 91-er kommt zu ihrer wohlverdienten Jause (wobei sich der Ladekran des Begleit-Kohlen-LKWs ordentlich strecken muss, um gerade noch den Tender zu erreichen). Da der Fahrplan drängt und der hoffnungsvoll in den Wasserkasten gehängte Schlauch nicht auf den Pottensteiner Hydranten passt (und sich dieser auch nur nach gutem Zureden aufdrehen lässt - hoffentlich brennt es nie in der Umgebung des Pottensteiner Bahnhofs!), bekommt unsere Lok gerade eben einen Schluck ab, und ein weiterer Verpflegungsposten wird drei Stationen weiter mit der lokalen Feuerwehr vereinbart.
Da, wie gesagt, der Fahrplan drängt, gibt es nur einen kurzen Fotohalt in Weißenbach-Neuhaus.
Hier kann uns endlich der nachfolgende Planzug, vor dem wir die ganze Zeit weggelaufen sind, überholen. Kaum ist die Luft rein, bekommen die Fotografen ihre Scheinanfahrt und Bilder, die die Herzen von Eisenbahnfreunden und die der glücklichen Hausfrauen, die entlang der Strecke ihre Wäsche aufgehängt haben, höher schlagen lassen. (Die der Hausfrauen vermutlich weniger vor Freude...)
Für die Bergstrecke über den Kaumberger Sattel braucht unsere 91-er noch etwas Labung, diesmal professionell (und mit passenden Schlauchkupplungen) von der Kaumberger Feuerwehr serviert.
Zum Schrecken der lokalen Kühe, die im Rindergalopp die Flucht ergreifen, passiert unser Zug den Tunnel vor Gerichtsberg. Gleich zwei Mal: Zuerst regulär, und dann noch einmal für die Fotografen.
In Hainfeld, wo am Bahnhofsvorplatz die größere und jüngere Cousine unserer 91-er steht, eine 93-er, gibt es Verpflegung für alle, Lok und Reisende. Der Aufenthalt gibt auch dem einen oder anderen der amerikanischen Eisenbahnfreunde Gelegenheit, beinahe stilecht als Lokführer zu posieren.
Inzwischen haben sich etliche Wolken vor die Sonne geschoben, und der Fotohalt in St. Veit an der Gösen (nur von sehr despektierlichen Leuten als "St. Veit an der Stechmücke" bezeichnet) ist ein bisserl trist.
In Traisen gibt es großen Bahnhof: Zu unserem Sonderzug gesellen sich noch drei Planzüge nach St. Pölten, Leobersdorf und St. Ägyd, was angesichts der überall herumschwirrenden Fotografen unseren Zugbegleiter (den Mann mit dem Megaphon) und den Traisener Fahrdienstleiter in Dauerstress versetzt. Hier wird unser Zug gestürzt, sobald die Planzüge den Bahnhof verlassen haben, und es geht weiter Richtung Freiland.
In Lilienfeld sieht es fast noch aus wie zu Kaisers Zeiten, nur die blau-weissen Bahnhofstafeln stören das Bild. Den Amerikanern wird eine Spezialvorlesung über Matthias Zdarsky und den alpinen Schilauf erteilt, die begeistertes Echo findet.
Während unser Zug für das Finale der Sonderfahrt noch einmal gestürzt wird, bekommen wir die Gelegenheit, das Feldbahnmuseum zu besichtigen, das extra für uns geöffnet hat. In kaum zehn Minuten geht es auf 600mm-Gleisen über die 150 Meter vom Bahnhof zur Wagenhalle (offenbar ist irgendwo an den Feldbahn-Zügle eine Bremse nicht gelöst worden, und die winzige zweiachsige Diesellok schafft es nicht schneller). Dort präsentiert sich der Stolz des Feldbahn-Museums, eine mustergültig restaurierte und betriebsfähige Orenstein-Koppel-Lok aus 1899; im Hintergrund warten zwei 760mm-Loks auf ihre Restaurierung und sind schon in die lokale Flora miteinbezogen...
Von Freiland aus geht es nun auf die Abschieds-Strecke nach Türnitz.
Lehenrotte ist die erste Haltestelle auf der Stichbahn nach Türnitz. Das zweite Gleis hat man offenbar schon seit Jahren der Botanik überantwortet.
In Moosbach klettern an die fünfzig Fotografen eine steile Waldwiese hoch, die mit wunderschön dunkelblau blühenden Akeleien übersät ist (hoffentlich haben uns zumindest einige davon überlebt!), um unseren Zug aus der Vogelperspektive aufnehmen zu können. Die Moosbacher Haltestellentafel lässt keinen Zweifel daran, wie die ÖBB zu dieser Strecke stehen...
In Dickenau hat man längst das zweite Bahnhofsgleis (und das offenbar einmal vorhandene Verbindungsgleis zur Kartonfabrik) abgetragen.
Hier bekommen die Fotografen noch eine ausserfahrplanmäßige Scheinanfahrt präsentiert. Die sportlicheren erklimmen, Schuhe und Knöchel nicht schonend, einen Schotterhaufen und haben dann das Problem, Bilder von unserem Zug ohne die in der Wiese verbliebenen Kollegen im Vordergrund zu bekommen.
Nach kaum etwas mehr als zehn Stunden Fahrzeit haben wir kurz nach 18.30 Uhr unser Ziel, Türnitz, erreicht. Ausser dem einen Gleis, das von unserem Zug besetzt ist (hinter dem sich eine viertel Stunde später der Planzug anreihen wird), scheint seit Jahren keines der Bahnhofsgleise mehr benützt worden zu sein. Streckeneinstellungen werfen lange Schatten voraus...
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